Bedürfnisse erkennen
Wie Traumatherapie hilft, den Kontakt zu dir selbst wiederzufinden
Viele Menschen haben nie wirklich gelernt, ihre wahren Bedürfnisse zu spüren. Sie funktionieren, kümmern sich um andere, erfüllen Erwartungen und überhören dabei die feinen inneren Signale, die ihnen sagen würden, was ihnen gerade gut tun würde.
Dieser fehlende Zugang betrifft nicht nur große Lebensentscheidungen, sondern auch die kleinen Momente im Alltag, in denen wir innehalten könnten, um uns zu fragen: „Was brauche ich gerade?“
Dass diese Verbindung zu den eigenen Bedürfnissen oft fehlt, ist kein persönliches Versagen, sondern eine Folge von Bindungs- und Entwicklungserfahrungen, die sich früh im Leben im Nervensystem verankern.
Wenn Bedürfnisse in der Kindheit keinen Platz hatten
In einer sicheren und unterstützenden Umgebung lernen Kinder, ihre Gefühle wahrzunehmen, mitzuteilen und zu erleben, dass sie damit willkommen sind. Sie erfahren, dass ihre Wünsche Bedeutung haben und ernst genommen werden.
Doch in vielen Familien war oder ist das nicht möglich. Eltern sind vielleicht selbst emotional überfordert, innerlich abwesend oder mit ihren eigenen Belastungen beschäftigt. Sie können sich nicht ausreichend auf die Bedürfnisse ihres Kindes einstellen.
Für das Kind bedeutet das:
Bedürfnisse werden nicht wahrgenommen oder ignoriert
Gefühle werden abgewertet oder belächelt
Wünsche werden als unangebracht oder egoistisch bezeichnet
Nähe gibt es nur, wenn es sich anpasst und „funktioniert“
Manchmal werden geäußerte Bedürfnisse sogar bestraft oder mit Liebesentzug beantwortet. Dies hinterlässt tiefe Spuren und führt häufig dazu, dass sich das Kind für seine Bedürfnisse schämt oder sogar schuldig fühlt, überhaupt etwas zu wollen.
Das innere Fazit lautet oft:
„Ich darf nicht fühlen, was ich fühle. Ich darf nicht wollen, was ich brauche.“
Abspaltung als Schutz
Um in einem solchen Umfeld emotional zu überleben, trennt sich ein Kind oft unbewusst von seinen wahren Bedürfnissen ab. Diese Abspaltung ist eine intelligente und notwendige Schutzstrategie, die hilft, weiterhin in Beziehung zu bleiben, auch wenn diese Beziehung nicht sicher ist.
Dabei gehen besonders essentielle Bedürfnisse verloren, wie:
Liebe und Geborgenheit
emotionale Sicherheit
Selbstausdruck und Authentizität
Gesehen- und Gehörtwerden
körperliche Nähe und Berührung
Ruhe, Schutz und Selbstfürsorge
Diese innere Abspaltung war damals überlebenswichtig, wird im Erwachsenenleben jedoch zum Hindernis, das uns von Lebendigkeit, Selbstvertrauen und erfüllenden Beziehungen trennt.
Wie sich das im Erwachsenenalter zeigt
Wer von seinen Bedürfnissen abgeschnitten ist, lebt häufig im Funktionsmodus. Statt innezuhalten und zu spüren, entstehen Muster, die kurzfristig entlasten, langfristig jedoch erschöpfen:
ständige Aktivität und innere Getriebenheit
Perfektionismus und hoher Leistungsdruck
emotionale Überanpassung an andere
Flucht in Arbeit, Konsum, Social Media oder Essen
Schwierigkeiten, um Hilfe zu bitten oder Unterstützung anzunehmen
Viele dieser Muster sind so tief verankert, dass sie gar nicht mehr als Schutzstrategien erkannt werden. Sie erscheinen wie ein fester Teil der Persönlichkeit, obwohl sie einst aus einer Notwendigkeit heraus entstanden sind.
Die Rolle von Scham und Schuld
Scham ist eine der stärksten inneren Barrieren auf dem Weg zu den eigenen Bedürfnissen. Wenn das Bedürfnis nach Nähe, Ruhe oder Selbstfürsorge in der Kindheit immer wieder abgewertet oder bestraft wurde, speichert das Nervensystem: „Das darf ich nicht fühlen.“
Oft kommt Schuld hinzu. Manche Menschen haben gelernt, dass ihre Bedürfnisse für andere eine Belastung sind, und empfinden bis ins Erwachsenenalter ein schlechtes Gewissen, wenn sie für sich sorgen wollen.
Diese Gefühle sind nicht „falsch“ oder „irrational“. Sie sind tief verankerte Schutzreaktionen, die damals Sinn gemacht haben, heute aber verhindern, dass wir in vollem Kontakt mit uns selbst leben.
Traumatherapie: Bedürfnisse wieder spüren lernen
In der Traumatherapie in München, insbesondere in der Arbeit mit dem Neuroaffektiven Beziehungsmodell NARM® in München geht es darum, die eigenen Schutzstrategien zu erkennen, zu verstehen und Schritt für Schritt mehr Zugang zu den dahinterliegenden Bedürfnissen zu bekommen.
Ein wesentlicher Teil dieses Prozesses ist es, wieder in eine feinere Selbstwahrnehmung zu kommen, körperlich, emotional und im Beziehungsraum. Dazu gehören:
Körperliche Orientierung – subtile Signale des Körpers wahrnehmen und ernst nehmen
Emotionale Vervollständigung – Gefühle spüren, benennen und im sicheren Raum zu Ende fühlen
Innere Organisation – bemerken, wie sich Nähe, Distanz oder Autonomie im eigenen System anfühlen
Beziehungserfahrung im Hier und Jetzt – erleben, dass Bedürfnisse willkommen sind und nicht zu Scham oder Ablehnung führen
Vom Überleben ins Leben
Bedürfnisse zu spüren und zu leben, bedeutet, aus dem alten Überlebensmodus herauszutreten und in einen bewussteren Lebensmodus zu kommen. Das geschieht nicht von heute auf morgen. Es ist ein schrittweiser Prozess des Wiedererwachens und der Selbstanbindung.
Mit jeder bewussten Wahrnehmung, sei es das Bedürfnis nach Ruhe, nach Nähe oder danach, die eigene Wahrheit auszusprechen, entsteht ein neuer innerer Raum. Anfangs mag dieser Raum ungewohnt sein oder sogar Angst auslösen, weil er nicht vertraut ist. Doch mit Zeit, Geduld und unterstützendem Kontakt kann darin Sicherheit entstehen.
Bedürfnisse sind die Grundlage für innere Freiheit
Bedürfnisse zu haben, ist kein Zeichen von Egoismus, sondern Ausdruck von Lebendigkeit. Wenn wir sie anerkennen, ernst nehmen und ihnen Raum geben, entsteht nicht nur mehr Selbstfürsorge, sondern auch eine tiefere Verbundenheit zu anderen.
Es geht nicht darum, alle Bedürfnisse sofort zu erfüllen, sondern darum, ihnen zuzuhören. Manchmal bedeutet das, langsamer zu werden, innezuhalten, eine Pause zu machen. Manchmal, Grenzen zu setzen oder um Unterstützung zu bitten.
Jedes Mal, wenn du dir diese Frage stellst: „Was ist mir jetzt wohltuend?“, gehst du einen Schritt zurück zu dir selbst – und damit zu einem Leben, das dir wirklich entspricht.